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Gewürzpriester schmecken eher fad

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Retortenband, ästhetisch geschniegelt

Der Sündenfall der Popmusik geschah 1994. Damals starb in Seattle Kurt Cobain, und in London castete die Musikindustrie die erste Retortenband, die weltweit Erfolg haben sollte. Mit den Gewürzmädels wurde Pop endgültig Mainstream. Und entsprechend langweilig.

Da der Mainstream-Katholizismus hinter dem Mainstream-Säkularismus immer ein paar Jährchen hinterherhinkt, formieren sich die katholischen Gewürzmädels erst jetzt, knapp zwanzig Jahre später. “Die Priester” heißt die neue Retortenband, und mit etwas Glück dürfen sie sogar bald zum Schlagergrandprix fahren. Hinter dem Projekt steht diesmal nicht (nur) die Musikindustrie, sondern vor allem Benediktinerchef und Altrocker Notker Wolf. Der fand es, ebenso wie weiland Heart Management in London, schick, eine neue Band zu casten, aber diesmal nicht aus jungen Mädels, sondern aus Priestern. Das Format wurde bereits in Irland (“The Priests”) und Frankreich (“Les Prêtres”) erfolgreich getestet, nun soll also der deutsche Markt erschlossen werden. Beim großen Priestercasting fiel die Wahl auf zwei Benediktiner und einen Weltpriester, und das Resultat ist, wie bei den Gewürzmädels, vor allem eines – langweilig.

Positiv zu vermerken ist, dass die Priester manchmal lateinisch singen, teilweise sogar neue Texte auf lateinisch schreiben, und dass sie in ihren Amts- und Ordensgewändern auftreten. Das ist aber auch schon alles, was man wohlwollend über sie berichten kann. Und es ist noch nicht einmal sehr überraschend – denn wenn die Priester nicht lateinisch singen würden und keine schwarzen Gewänder trügen, wäre der katholische Markenkern dahin. Und der Markenkern ist doch der Schlüssel zum Erfolg.

Retortenband, ästhetisch nur halb geschniegelt

Genau hier beginnt das Problem. Der Markenkern ist nämlich unscharf. Im Klartext: Da ist optisch der Wurm drin. Die beiden Benediktiner tragen natürlich keinen Priesterkragen, sondern ihr Habit. Der Weltpriester trägt den Kragen, aber zusätzlich hat er einen Bart. Er ist auch etwas kräftiger gebaut, ebenso wie auch einer der beiden Benediktiner, der noch dazu ein eher unansehnliches, rundes Gesicht hat. Der zweite Benediktiner hingegen ist schlank, fast hager, mit einem kleinen, kantigen Kopf auf einem langen Hals. Zusammen wirken die drei eher kurios als popstarmäßig.

Sie können ja nix für ihr Aussehen, wendet man ein. Richtig. Sie sind deswegen auch keine schlechteren oder besseren Priester oder Menschen. Aber hier wollen sie ein illusionistisches Genre bedienen. Eins der illusionistischsten, was es überhaupt gibt: Pop. Hier wird nicht postdramatisches Theater gemacht, es wird keine Schlingensiefproduktion und kein Rimini Protokoll veranstaltet, wo die Menschen einfach nur sie selbst sind. Hier braucht man Typen, Klischees, Klarheit, Kraft. Bei den Gewürzmädels hat man auch nicht die hässlichen gecastet, und ihre Garderobe wurde minutiös geplant und nicht danach ausgesucht, in welchem Verein sie jeweils Mitglied sind. Es sind schließlich auch 600 Mädels zum Casting gekommen. Ich glaube kaum, dass Notker Wolf 600 Priester gecastet hat. Priester sind nunmal seltener als junge Mädels. Da muss dann einer auch mal singen können und überhaupt Interesse haben. Über Aussehen und Ordenszugehörigkeit kann man sich da keine Gedanken mehr machen. So bleiben die Priester schon rein optisch irgendwo auf halbem Wege zwischen Real-Life-Show und Illusionismus stecken: unentschlossen – wie das meiste andere an ihnen auch.

Musikalisch ist es kaum interessant, wenn die Kleriker die Schwanensee-Melodie mit frommem Text nachsingen, während im Hintergrund ein Chor “Pater omnipotens” wiederholt. Noch weniger erhellend ist die Coverversion von “Über sieben Brücken musst du gehn” mit warmem Belcanto-Schmelz. Da hör ich mir lieber Maffays Rockerstimme im Original an. Xavier Naidoo brauche ich weder in echt noch als Cover. Überhaupt gibt es bei den Priestern kein Konzept von “Coverversion”. Was fügen sie durchs Cover hinzu, was entlarven sie, was übersteigern sie? Unklar. Vielleicht kann dort einfach niemand einen eigenen Song schreiben? Möglich. Insgesamt – unentschlossen.

Der beste Song von den Priestern ist übrigens von Laibach. Laibach sind in echt keine Priester, aber grandiose Priesterdarsteller. Hier finden wir drei junge bartlose Männer mit Kollar, ähnlicher Figur, ähnlichem Haarschnitt, ähnlicher Pose. Dazu Frontmann Milan Fras, der mit Bart, Kopfputz und ausgebreiteten Armen an eine Mischung aus orthodoxem Metropoliten und Jesus Christ himself erinnert. Hier finden wir Typen, Klischees, Klarheit, Kraft. So sollte das Auftreten der Priester sein. Hier wird mit dem katholischen Markenkern gearbeitet. Mit Betonung auf “gearbeitet”. Denn Laibach wurde lange vor dem Sündenfall der Popmusik gegründet. Hier machte man sich noch Gedanken und traf ästhetische Ansagen. Laibach ist keine Retortenband, sondern voll von der Underground-Verve, die mit Kurt Cobain gestorben ist.

Das Lied heißt “God is God”, und es verfügt über eine verrätselte intellektuelle und symbolische Dichte, von der Gewürzmädels und Gewürzpriester nur träumen können. Warum können nicht endlich mal katholische Künstler große Kunst, katholische Kunst machen?

DIE PRIESTER

LAIBACH


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