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Tod in der Subkultur

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Subkultur-Koryphäe tot

Wie ich im katholischen Internet lesen konnte, ist Franz Lehrndorfer gestorben. Ich kenne den Herrn eigentlich nicht. Sein Name sagt mir nur deshalb etwas, weil mein Ex-Ex-Ex-Ex-Klavierlehrer (damals war ich noch Gymnasiast) immer von seinem hochverehrten Lehrer, dem großen Prof. Lehrndorfer geredet hat.

Ich habe den Namen damals in Gedanken immer “Prof. Lerndorffer” geschrieben und mir einen gestrengen, humorfreien Kirchenmusikprofessor vorgestellt, akkurat gekleidet, womöglich gar mit Monokel, der seine Schüler im Kasernenton zur Schnecke machte, wenn sie im Contrapunctus semi-diabolicus die Regel “Nulla nota super fa” nicht beachtet hatten. Viel anders sah er wirklich nicht aus, bloß das Monokel fehlt, und dann ist da in seinem Namen dieses komisch weibische “h” nach dem “e” und das fehlende zweite (oder gar dritte) “f” nach dem “f”…

Gleichwohl: Prof. Lerndorffer wird mir immer als Inbegriff einer höchst speziellen Subkultur in Erinnerung bleiben – der Orgelimprovisationsszene. Der große Prof. Lernndorffer, der langjährige Organist der Müncher Frauenkirche, war darin nämlich eine Koryphäe. Jawohl, man muss dieses ehrwürdige Wort “Koryphäe” benutzen und nicht eins dieser dahergelaufenen Wörter, die man heute für begabte Klavier- oder Schlagzeugimprovisatoren in meiner Wahlheimat Berlin verwendet, “Crack” oder “Tier”: Bewahre! Prof. Lerndorfffer war eine Koryphäe.

Vor Jahren habe ich im RBB-Radio mal einen Beitrag über die Kunst der professionellen Orgelimprovisation gehört. Also nicht dieses mal-kurz-ein-Zwischenspiel-Machen im Gottesdienst, wie wir das alle kennen. Sondern Leute, die eigens dafür üben, um zu Orgelimprovisationswettbewerben zu fahren und dort 20minütige Stegreifstücke zum Besten zu geben, welche, hört, hört, über einen Anfang, eine Steigerung, einen Höhepunkt und einen Schluss verfügen, und das alles spontan in 20 Minuten, wie sich einer der in der Radiosendung interviewten Organisten ganz stolz ausdrückte, worauf ich mir ganz spontan dachte, kann-ick-ooch, aber darum soll es hier gar nicht gehen, sondern -

Was ich hier sagen möchte, ist, dass ich persönlich auf diese Orgelimprovisationsszene getrost verzichten kann. Ich kenne das Umfeld, ich kenn die Musik, ich kenn auch die Herrn Organisten, und ich weiß, das ist alles tödlich langweilig und konventionell. ABER: ich finde es großartig, dass es das gibt. Das ist katholisch. Dass es 1000 Subkulturen gibt, die mich nicht zu interessieren brauchen, und die trotzdem ihren berechtigten Platz in der Kirche haben. Genauso ist es mit den Berliner Subkulturen. Der durchschnittliche Laptopmusiker aus Friedrichshain interessiert mich genausowenig wie der durchschnittliche Orgelimprovisator aus München oder Regensburg. Aber die Tatsache, zu wissen, dass es viel mehr gibt, als ich bin, mache und schätze, ist ein tolles Gefühl.

Das ist katholische Weite, das ist Luft zum Atmen. Was gibt es schöneres als Katholik in Berlin zu sein!


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