Das totale Spiel
ärgert mich ganz außerordentlich, weil er soviel Richtiges sagt: weil er die Verbindung von Demokratie und Mediokrität diagnostiziert, weil er die negative Hitler-Religion unserer Gesellschaft entblößt: und dabei so ein lächerliches narzisstisches Würstchen bleibt und alles in eine dermaßen obsolete, harmlose Kunstreligionkulisse einpasst, dass er für dieselbige demokratisch-medioker-hitlerreligiöse Gesellschaft lediglich den Hofnarren, den Blitzableiter abgibt, der dafür sorgt, dass all das Richtige, was er sagt, keinesfalls dazu führt, dass sich etwas ändert.
Lesen wir dieses aktuelle Interview im Spiegel.
Wenn da sowas steht:
Meese: Die meisten Künstler lassen sich durch eine Demokratenpresse drücken, und dabei kommen Würstchen raus. Was ist denn von der letzten Documenta übrig geblieben oder von der Biennale in Venedig? Demokratisches Zeug! Partydekoration!
SPIEGEL: Demokratisch ist für Sie ein Synonym für Mittelmaß?
Meese: Bezogen auf die Kunst, ist Demokratie die Lehre des optimierten Mittelmaßes. Der Künstler war noch nie so harmlos und weltgleichgeschaltet wie heute.
…dann bin ich 100% d’accord. Auch wenn er sowas sagt:
Muss man durch eine demokratische Schablone gepresst werden, um Kunst machen zu dürfen? Braucht man den Demokratenausweis? Muss ich, bevor ich auf die Bühne gehe, bekennen: “Ich bin ein lupenreiner Demokrat”? Oder kann ich ohne Ideologie, ohne staatliche Prüfung einfach auf die Bühne stürmen und mein Ding machen?
dann stimme ich ihm prinzipiell zu – obwohl ich denke, dass er gegen Chimären kämpft. Ich bin kein Demokrat und mich hat noch niemand nach dem Demokratenausweis gefragt, wenn ich auf die Bühne stürme und mein Ding mache. Und dass Kunst nicht nach demokratischen Regeln funktioniert, ist in durchaus nicht unbeträchtlichen Teilen des Kunstbetriebs völlig akzeptiert.
Aber wenn er dann weiterschwadroniert:
Ich bin doch der Sokrates dieser Zeit! (…) Meese hat eben Rückgrat. (…) Ich bin völlig unpolitisch, ich fordere keine Revolution von der Straße. Ich gehöre keiner Partei und keiner Religion an, bin auch kein Atheist. Ich habe mich nicht organisiert. Ich will keine Anhänger haben. Ich lehne Jüngerschaft ab. Ich will nicht, dass Menschen mir folgen. (…) Ich finde so gut wie überhaupt keine Gleichgesinnten, weil die Forderungen, die ich stelle, so radikal sind, so extrem. Das ist ja das Schöne, dass man in der Kunst alles auf die Spitze treiben kann. Im Mannheimer Nationaltheater habe ich es kürzlich völlig überzogen: Ich stand mit einer Maske auf der Bühne, mit einer Lackjacke und Narrenbrille, und habe Oralsex mit einem Alien angedeutet. Wer das ernst nimmt, muss völlig wahnsinnig sein!
…dann kann ich nur perplex nachfragen: Wie bitte?? “Völlig überzogen?” – Oralsex mit einem Alien? Da muss ich mich doch mal selbst zitieren: “Die Häufigkeit des Auftretens der Wörter ‘extrem, wahnsinnig, verrückt, radikal’ ist umgekehrt proportional zur Häufigkeit des Auftretens der durch sie bezeichneten Sache”.
Und 2016 inszeniert der Herr dann Parsifal in Bayreuth. Obgleich ich nicht weiß, woher er inszenieren können soll, er ist schließlich bildender Künstler, und um Verrücktheit herzustellen braucht es nicht zuletzt eben eines: Können. Aber das ist ein anderes Kapitel. Den Fall des letztes Jahr rausgeekelten Hakenkreuz-Russen Jewgeni Nikitin hält Meese jedenfalls für “nicht vergleichbar. Die beiden Intendantinnen, die mich eingeladen haben, wissen genau, dass es natürlich bei Meese nur um Kunst geht.”
Und genau das ist das Problem. Meese sieht sich “dem totalen Spiel Kunst verpflichtet”. Deswegen bleibt er Hofnarr. Denn er greift als Spieler einen Nichtspieler an. Seine “Diktatur der Kunst” und die reale “Diktatur der Demokratie” sind nicht gleichwertig. Erstere ist virtuell, letztere ist real. Wer hat Angst vorm Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Männchen?
Erst wenn die Gegenspielerin der Demokratie aus der Fiktion in die Wirklichkeit tritt, wird ihr Angriff gefährlich.
Gott existiert.
Solange Meese das nicht bekennt, wird er ein zahnloses Würstchen bleiben.