Vor einigen Tagen sah ich bei einem Freejazzfestival eine ausnehmend hübsche junge Frau im Publikum, die erstaunlicherweise ohne Begleitung gekommen zu sein schien. Während die überbordenden Klangkaskaden eines Wahnsinnsquartetts über uns hinwegbretterten, überlegte ich mir, wie ich sie in der Pause am besten ansprechen könnte. Da sah ich, dass sie sich bewegte. Sie bewegte sich zur Musik. Hätte ich nur ihre Bewegungen gesehen, ohne die Musik zu hören, hätte ich auf Smooth Jazz oder Softrock getippt. Zweifellos, so mutmaßte meine interne Lästerzunge, sahen ihre Bewegungen, wenn sie Smooth Jazz, Softrock oder sonst irgendeine Musik hörte, nicht anders aus – und nicht minder trivial. Ich stand stocksteif. Ich hasse es, mich zur Musik zu bewegen. Ein oder zwei Mal ist es an dem Abend vorgekommen, dass mein Körper mitging. Das war 1. unwillkürlich, 2. minimal, 3. Anzeichen verdammt guter Musik. Die junge Frau aber bewegte sich nicht, weil es mit ihr geschah, sondern weil sie meinte, dass man sich eben so bewegen müsse, wenn man guter Musik lausche. Ihr Körper wurde nicht von der Musik bewegt, sondern sie veranstaltete mit ihm eine Bewegungs-Beilage. Kartoffelpüree zu Schnitzel. Vor und zurück. Dann nahm sie einen Schluck Weißwein.
Ich will nichts beschönigen. Vielleicht ist mir kein passender Satz eingefallen, oder ich habe mich nicht getraut. Ich habe sie nicht angesprochen. Vielleicht lag es aber einfach auch daran, dass meine Motivation, mich zu trauen, geschwunden war. Indem die junge Frau das mysterium tremendum der Musik verbürgerlichte, entwertete sie ihr eigenes mysterium fascinosum, ihren so schönen und doch so mysterienblinden Körper.
Das Konzert endete. Ich trat ins Freie. Es war weit nach Mitternacht, und ich wollte, noch erfüllt von der rauhen Herrlichkeit der Musik, den Blick zu den Sternen erheben. Ich zuckte zurück, als ich einen dicken Tropfen ins Auge bekam. Genau in diesem Moment begann es wie aus Kübeln zu regnen.
Ich eilte gen Süden. Nach wenigen Minuten schon war ich völlig durchweicht. Während die junge Frau jetzt vielleicht gerade auf ein Taxi zurannte, ihre schönen, braunen Haare notdürftig mit der Handtasche vor den Naturgewalten schützend, erfasste mich, Stück für Stück, die plötzliche, ungeahnte, himmelshoch nasse Theophanie.