Ich weiß nicht genau, warum ich als begeisterter Hitchcock-Fan immer einen Bogen um “I confess” gemacht habe – den am offensten katholischen Film des Regisseurs. Sicherlich war daran nicht der ausnehmend dämliche deutsche Titel “Ich beichte” schuld (hat denen eigentlich nie jemand gesagt, dass die entsprechende Formel “Ich bekenne” heißt?!?) – wahrscheinlich lag es eher daran, dass sich meine eigenen Vorstellungen von katholischer Kunst von Hitchcocks subjektiv-psychologischer Thrillerästhetik, die ich ja – wie gesagt – an sich sehr bewundere, doch deutlich unterscheiden. Anders gesagt: Wenn ich Regisseur wäre und einen katholischen Film drehen würde, dann sähe er ziemlich anders aus als “I confess” – er wäre viel weniger am konkreten Einzelschicksal interessiert, viel mythologisch-liturgischer, eher in der Art von “El Topo”, falls jemand diesen grandiosen surreal-christlich-esoterischen Western von Alejandro Jodorowsky kennt.
Nachdem ich inzwischen aber praktisch alle großen Hitchcockfilme der 40er und 50er Jahre kannte, wollte ich gestern nun endlich die letzte Lücke schließen und habe “I confess” angeschaut.
Ich fand den Film sehr gut – aber darum soll es hier nicht gehen.
Es geht mir nur um eine kleine Szene.
Father Logan (Montgomery Clift) wird von der Polizei gesucht, weil er (zu Unrecht, wie der Zuschauer weiß) des Mordes verdächtigt wird. Er hatte dem wirklichen Mörder, der sich bei seiner Tat als Priester verkleidet hatte, zuvor die Beichte abgenommen, ist aber an sein Beichtgeheimnis gebunden und kann die Polizei nicht informieren. Als sich die Schlinge um Logan immer enger zieht und ihm zugesteckt wird, dass seine Verhaftung unmittelbar bevorsteht, verlässt er Hals über Kopf sein Haus. Planlos streift er durch die Stadt, während die Polizei ihn sucht und alle Soutanenträger überprüft. Da fällt sein Blick auf das Schaufenster eines Bekleidungsgeschäfts, in dem ein Anzug ausgestellt ist. Sekundenlang gerät er in Versuchung, seine Soutane mit dem bürgerlichen Kleid zu vertauschen und auf diese Weise unterzutauchen. Doch er widersteht der Versuchung, bleibt seinem Priestertum treu und stellt sich schließlich freiwillig der Polizei.
Der Film ist von 1953. Gerade einmal fünfzehn Jahre später wurde das, was Father Logan als höchste Anfechtung erlebte, als größte Tugend gepriesen – die Verleugnung des Priestergewands. Das Untertauchen in der Menge, die Unsichtbarkeit für Freund und Feind, die für Father Logan eine verlockende, doch absolut inakzeptable Möglichkeit zur Rettung seiner Haut war, wurde auf einmal in einen Akt der Liebe und der Demut umgedeutet.
Nichts macht so deutlich wie diese kleine Szene, wie sehr man sich Ende der 60er Jahre selbst belogen und mutwillig getäuscht hat. Man hielt die Einflüsterung des Teufels für das Wehen des Heiligen Geistes.