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Nun keifen sie wieder

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Heilige Bilder...

“Er hat Gott gelästert! Was bedürfen wir weiterer Zeugen? Siehe, jetzt habt ihr die Gotteslästerung gehört. Was ist euer Urteil?” – Sie antworteten und sprachen: “Er ist des Todes schuldig.”

Es geht diesmal nicht um Jesus Christus, sondern um Romeo Castellucci. Hat er doch gewagt, ein Theaterstück zu zeigen, in dem Jesus drin vorkommt. Und wie wir alle wissen: Jesus auf der Theaterbühne? Das kann nur Gotteslästerung sein!

Bloggerkollege Kreuzknappe findet das “Theaterstück, das nach Scheiße riecht” “einfach nur verletzend”, und Katholisches fällt sein Urteil (“Gotteslästerung”) unbesehen schon in der Titelzeile, um alsbald mit der lustigen Idee aufzukreuzen, dass Castellucci “seit den Protesten gegen seine Gottesbeleidigung von der linken Kulturschickeria herumgereicht” werde. Der Mann zählt zwar schon seit Jahrzehnten zu den international erfolgreichsten Theaterregisseuren, aber das muss man wohl nicht wissen, um seinen Furor catholicus abzulassen…

Da ich das Stück “Über das Konzept des Angesichts von Gottes Sohn” in Berlin leider verpasst habe, habe ich mir auf Kreuzknappens Blog eine Vier-Minuten-Sequenz daraus angesehen (siehe auch unten). In erster Linie sehe ich da das Antlitz Christi, überlebensgroß, in ikonenhafter Eindringlichkeit auf den Zuschauer blickend. Kinder werfen Granaten auf das Bild, das Bild hält den Granaten stand. Die Bühne verdunkelt sich, die Kinder sind nur noch als Silhouetten zu sehen, allein das Antlitz Christi ist weiterhin in mystisch-violettes Licht getaucht. Dann hört der Ausschnitt auf.

Man liest, vorher gehe es darum, dass ein erwachsener Mann seinen inkontinenten Vater wickelt. Hinterher brenne das Christusbild ab (laut kath.net) bzw. werde abgerissen (laut Theaterblogger Gerald Hutterer) und eine Schrift erscheine “Du bist nicht mein Hirte” (laut Hutterer) bzw. abwechselnd die Worte “Du bist mein Hirte” und “Du bist nicht mein Hirte” (laut kath.net).

So weit, so gut. Klingt nur mäßig spannend, aber was ist schlimm dran?

Dass Christus mit Granaten beworfen wird? In Wirklichkeit wurde er übrigens ans Kreuz geschlagen. Die Oberammergauer Passionsspiele zeigen alle zehn Jahre wieder, wie Christus verspottet und erniedrigt wird, aber das ist dann plötzlich keine Gotteslästerung, sondern höchst fromm und überaus katholisch. Das Motiv des Bewerfens erinnert mich spontan an den Heiligen Sebastian, bekanntlich eine höchst gotteslästerliche Figur. Allein: Christus am Kreuz starb, der mit Pfeilen beschossene Sebastian war ebenfalls dem Tode nahe. Dem Christusbild Castelluccis hingegen können die Granaten nichts anhaben. Gott ist größer. Ist das gotteslästerlich?

Was also ist schlimm an diesem Stück?

Dass Scheiße vorkommt? Und dass man sie offensichtlich (wohl gefakt) auch riechen kann? Weil ein inkontinenter alter Mann gewickelt wird? “Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan”. Sich um einen schwachen alten Mann zu kümmern, kann wohl kaum gotteslästerlich sein. Eher, deswegen zu titeln “Das Theaterstück, das nach Scheiße riecht”. Würde denn ein Christ über ein Altersheim schreiben “Das Haus, das nach Urin stinkt?” Oder möchte man im Theater eben nur die schöne, heile Wunschwelt sehen, in der es keine geringsten Brüder gibt, sondern nur strahlende Helden und Supermänner? Bitte schön, es gibt genügend Musicaltheater. Niemand muss sich Castellucci ansehen. Aber ich sehe keine Gotteslästerung darin, sich eben auch den geringsten Brüdern zu widmen.

Nochmals: was ist schlimm an Castelluccis Theaterstück?

Dass am Ende die Leinwand abbrennt? Dass man den Satz lesen kann “Du bist nicht mein Hirte”? Dass also alles doch gegen das Christentum, gegen die Kirche gerichtet ist? Ich vertraue in diesem Fall kath.net eher als Herrn Hutterer und nehme an, dass tatsächlich beide Sätze gezeigt werden, “Du bist mein Hirte” und “Du bist nicht mein Hirte”, je nach Beleuchtung unterschiedlich lesbar. Ambivalenz bis zum Ende. Die Größe Gottes, die Eindringlichkeit Seines Bildes, und doch auch Sein Schweigen, Seine Bedrohlichkeit. Castellucci ist kein Agitprop-Regisseur – diese Art von Theater ist übrigens seit ungefähr 80 Jahren vorbei, auch wenn das bei manchen Katholiken noch nicht angekommen ist. Castellucci ist ein Regisseur der Bilder. Das kurze Video unten finde ich dann auch schon fast kitschig in seiner ikonischen Klarheit und Schönheit. Ich mag das. Aber ich weiß, dass es genügend Theaterleute gibt, die Castellucci Kitsch unterstellen.

Castellucci ist ein Regisseur der Bilder und nicht der Aussagen. Theater ist zuerst eine kultische Handlung und keine Predigt. Genauso wie die Liturgie. Und doch sind es genau dieselben Katholiken, die sich sonst so darüber ärgern, wenn man in der Zeitung mal wieder nur von den politisch brisanten Details der päpstlichen Predigt lesen kann, welche nun eine Theaterinszenierung auf ihre vermeintliche Aussage reduzieren wollen.

Insofern leuchtet es ein, was Castellucci über die Proteste gegen sein Stück sagt: “Die Kirche ist heute nicht mehr fähig, heilige Bilder zu produzieren. Sie ist eifersüchtig auf die Kunst.”

Wenn man sich ansieht, welche Regisseure regelmäßig katholischen Unmut auf sich ziehen, ist man geneigt zuzustimmen: Nitsch, Schlingensief, Castellucci – ausgerechnet diejenigen, die dem katholischen Kosmos am allernächsten stehen. Es gibt tausende von Regisseuren, für die das Katholische überhaupt keine Rolle spielt. Völlig säkularisierte Theatermacher. Das ist doch viel tragischer. Aber da habe ich noch nie einen Katholiken mosern gehört. Denn da gibts schließlich keinen Jesus auf der Bühne.

Dennoch halte ich Castelluccis Vermutung letztendlich für falsch. Denn jene Katholiken, die nicht mehr fähig sind, heilige Bilder zu produzieren und sich regelmäßig auf Katholikentagen oder in Studentengemeinden austoben, sind ja gerade diejenigen, die mit dem Theaterstück kein Problem haben. Diejenigen, die protestieren, gehen wahrscheinlich zu einem nicht unbeträchtlichen Teil zur Alten Messe oder haben zumindest Sympathien dafür. Man muss das Phänomen leider ernüchternder deuten: Diese Katholiken bemerken die wechselseitige Nähe schlicht nicht. Sie sind einfach – zu dumm.

Der Kreuz-Knappe verlinkt am Ende seines Pamphlets übrigens zu einem “Zeitungs-Artikel” und zu einer “Theater-Kritik”. Ja, danke. Ohne den Deppen-Bindestrich hätte ich den geistigen Zustand der katholischen Empörer gar nicht bemerkt…


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